Die Zucht von Brachionus sp.:


Wir möchten hier einige Erkenntnisse zu Brachionus sp. (Rädertierchen oder auch Rotifers) und eigene Erfahrungen mit deren Zucht darlegen. Brachionus ist für manche Fischbrut das Erstfutter zum Aufziehen, bis die Fischlarven groß genug sind, Artemianauplien zu bewältigen.

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In der marinen Nachzucht werden im Wesentlichen drei Formen von Salzwasser-Rädertierchen verwendet: Brachionus plicatilis und zwei Varianten von Brachionus rotundiformis.
Diese werden wegen ihrer unterschiedlichen Größen auch in Typen eingeordnet: B. plicatilis = L-Typ (large), B. rotundiformis = S-Typ (small) und ein besonders kleiner Typ von B. rotundiformis = SS-Typ (super-small). Nach Literaturangaben ist B. plicatilis euryhalin, d. h., hinsichtlich des Salzgehalts recht anpassungsfähig und bei eher niedrigeren Temperaturen (18° – 25° C) zu halten. Der B. rotundiformis S-Typ soll an höhere Temperaturen (28° - 35° C) und niedrige Salinität angepasst sein, während der SS-Typ bei höheren Temperaturen und gleichzeitig höheren Salzgehalten auftritt.
Mischkulturen werden somit allenfalls in einem engen Temperaturbereich zwischen etwa 25° - 28° C vorkommen. Das Erhöhen oder Absenken von Temperatur und Salzgehalt kann man zur Trennung der Typen, die rein optisch nicht einfach zu unterscheiden sind, nutzen.

Wir kultivieren beide oben genannte Arten: Brachionus plicatilis mit einer Größe von 130 bis 340 µm (meist um die 300 µm) und Brachionus rotundiformis mit einer Größe von 80-120 µm. Die größere Art wird für größere Fischlarven verwendet, so wie bei Amphiprion ocellaris.

Obwohl die genannten Brachionus angeblich bei einer Salinität von 10 – 65 ‰ überleben können, zeigen sie wirklich gute Vermehrungsraten je nach Typ nur zwischen 20 ‰ und 40 ‰. Durch Erhöhen der Salinität (bis 40‰) bleiben die Tiere ein und derselben Art kleiner, verringert man aber die Salinität (< 30‰) werden sie größer, wobei das durch ihre geringe Gesamtgröße natürlich minimal geschieht.

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Wir vermehren die Brachionus meist mit Phytoplankton (Nannochloropsis) in Behältern (z. B. 2 L Gurkengläser oder profimäßig im Plexiglasreaktor). Es gibt aber auch die Möglichkeit, Brachionus mit Culture Selco 3000 (INVE) zu ernähren. Wenig ist hier viel, denn die Kultur kann recht schnell zusammenbrechen: Einen halben Löffel (von PO4 Tests der Plastiklöffel) in etwas Wasser verquirlen und dann der Brachionuskultur (2 Liter Kultur) zuführen. Es empfiehlt sich, beim Einsatz von Culture Selco nach drei Tagen die Kultur zu teilen und mit Frischwasser aufzufüllen. So kann man sie leicht weiter kultivieren, ohne dass sie abstürzt.
Schließlich ist auch möglich, Brachionus mit Hefe zu füttern und zu vermehren. Allerdings ist dabei die Gefahr, dass das Zuchtwasser „kippt“, ebenfalls recht groß und die Tiere sind nährstoffmäßig z. B. für Fischlarven so gut wie unbrauchbar. In diesem Fall muss vor der Verfütterung unbedingt angereichert werden.

Bei einem Neustart wird ein Ansatz (z. B. ½ L) genommen und die Wassermenge alle drei Tage mit Frischwasser verdoppelt. Um eine so aufgebaute Kultur mit Algenfütterung am Laufen zu halten bzw. weiter zu vermehren, gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder man nimmt die benötigte Menge Algenkultur und beimpft sie mit Brachionus (z. b. 1 L Brachionuskultur auf 2 L Phytoplankton). Dann wartet man, bis die Algen vollständig aufgefressen sind. Das ist dann die Zeit der Ernte, die nun massenhaft vorhandenen Rädertierchen werden alle ausgesiebt, das Wasser wird komplett weggeschüttet und der Behälter gereinigt. Dann beginnt das Ganze von vorn mit einem vollständig neuen Ansatz, wobei man zur kontinuierlichen Versorgung mit mehreren zeitlich versetzt angesetzten Kulturen arbeiten muss. Vorteil: Diese Kulturen kippen selten und eine Massenvermehrung von unerwünschten Organismen bleibt meist aus.
Die Alternative sieht so aus, dass man – ähnlich wie bei der Selco- oder Hefe-Methode - regelmäßig nur einen Teil des Zuchtwassers entnimmt, die Brachionus daraus aussiebt und das Zuchtgefäß wieder mit frischer Algenkultur auffüllt. Das bietet eine gewisse Kontinuität der Ernte auch bei nur einem Behälter. Wegen der trotzdem über kurz oder lang einsetzenden "Versiffung" muss aber in gewissen Zeitabständen auch hier ein Neuansatz erfolgen.
Wenn man die Kultur möglichst rein halten möchte, sollte man übrigens kein Beckenwasser verwenden, sonst entsteht u. U. eine Mischkultur von Copepoden und Brachionus. Ein massenhaftes Auftreten von Ciliaten (insbesondere Euplotes sp.) deutet auf schlechte Wasserwerte hin und wirkt sich ungünstig auf die Rädertier-Kultur aus. Sollte es passieren, dass die Kultur durch Euplotes oder dergleichen verseucht ist, wird abgesiebt und die Behälter mit 20% Salsäure (mit Wasser vermischt) gereinigt. Nachher muss der Behälter mit Wasser gut gespült werden. Niemals mit Seife oder Spülmittel reinigen.

Die Brachionus müssen vor dem Verfüttern mit einem Planktonsieb (60 µm) ausgesiebt werden, da das Wasser sonst das Aufzuchtwasser der Fischbrut verdirbt. Um die empfindlichen Rädertiere möglichst wenig zu schädigen, empfiehlt es sich, das Sieb in ein kleines Gefäß zu stellen und das Kulturwasser langsam durchlaufen zu lassen. Da somit immer etwas Wasser innerhalb des Siebes steht, vermeidet man zu großen Druck auf die Tiere. Ist die gewünschte Menge erreicht, hebt man das Sieb aus dem Gefäß und lässt das restliche Wasser darin ablaufen.

Wir überwintern Kulturen im Keller oder Heizungsraum bei rund 13° C, was den Brachionus plicatilis eigentlich nichts ausmacht (B. rotundiformis verträgt dies offensichtlich nicht). Lediglich die Vermehrungsrate wird langsamer und die Nahrungsaufnahme geht zurück. So kann man die Kultur mehr oder weniger stilllegen und bei Bedarf wieder mit Phytoplankton und Temperaturerhöhung hoch fahren; das klappt wunderbar.
Bei Gurkengläser oder Erlenmayerkolben steht die Kultur ohne Luftzugabe, das heißt ohne Bewegung. Bei Reaktoren belüften wir beide mit wenigen Luftblasen, insbesondere dann, wenn dieser oben verschlossen und nur mit einem kleinen Luftaustritt versehen ist. Ein solches Vorgehen ist ratsam, wenn die Phytoreaktoren gleich daneben stehen, da eine Phytoplanktonkultur schnell infiziert und dann verloren sein kann. Eine zu starke Belüftung kann aber die Rädertierchen schädigen!

In jedem Fall ist es empfehlenswert, eine kleine Population in Reserve zu halten, um nach einem Zusammenbruch die Zucht rasch neu aufbauen zu können. Oft wird empfohlen, einige Tiere im Kühlschrank aufzubewahren. Das ist aber nicht unbedingt notwendig. Es genügt, ein kleines Gefäß (z. B. 0.5 L Getränkeflasche) mit einigen wenigen Tieren offen bei Zimmertemperatur (je kühler desto besser) stehen zu lassen und nur alle paar Wochen einige Tropfen Phytoplankton oder einen Tropfen Hefelösung zuzugeben.

Wer sich ausführlich mit dem Thema beschäftigen will, findet z. B. hier einiges (allerdings in Englisch):

http://www.fao.org/DOCREP/003/W3732E/w3732e0c.htm
http://www.aiam.info/05/articoli_ml_plancton4.htm
http://www.was.org/Meetings/AbstractData.asp?AbstractId=9102


Auf diesem Link sieht man wie Brachionus rotundiformis aussieht.

Zusatz: Bericht über Brachionuskultur mit Culture Selco Plus™
Nachtrag vom 09.01.2012: Mittlerweile gibt es weitere Produkte und Nachfolgeprodukte von Inve, die die Zucht und Anreicherung von Brachionus vereinfachen und erleichtern sollen: Siehe hier!

© Text und Bilder Gerald Schneider und Wolfgang S.

   
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